15. Mai 2022Während eines New-York-Aufenthalts im Jahr 2010 entschloss sich der deutsche Innenarchitekt Robert Stephan dem Künstler Silas Seandel, einem seiner Lieblings-Möbeldesigner, einen Überraschungsbesuch abzustatten. „Ich habe seine Werkstatt in Chelsea aufgesucht und einfach geklingelt“, erzählt Stephan. Die beiden unterhielten sich mehrere Stunden lang – und sind seither enge Freunde. „Er hat mich sehr beeindruckt“, erinnert sich Seandel. „Es stellte sich heraus, dass er mehr über meine Arbeit wusste als ich selbst. Er hatte ein beinahe lexikalisches Gedächtnis für alle meine Objekte.“
Es ist daher nicht verwunderlich, dass einige dieser Objekte den Weg in Stephans Innenarchitekturprojekte gefunden haben. Ein Paar von Seandels maßgefertigten Cocktailtischen aus Bronze und Beton bilden den Mittelpunkt des Wohnzimmers einer 70er-Jahre-Villa in Harlaching am Stadtrand von München, deren Interieur Stephan gestaltete. Das Haus war der frühere Wohnsitz des österreichischen Künstlers Hermann Rastorfer und hat einen ungewöhnlichen Grundriss: Es ist nur rund 14 m breit, aber gut 60 m lang. Eine der Veränderungen, die Stephan vornahm, bestand darin, ein Fotostudio im Untergeschoss in ein Basketballfeld umzuwandeln. Den Raum beherrscht ein Wandgemälde, inspiriert von den geometrischen Motiven, die Gio Ponti in der mittlerweile legendären Villa Planchart in Caracas verwendete.
Den Stil Robert Stephans beschreibt der Eigentümer der Villa als „mühelos, zeitgemäß, kontextgerecht, maskulin und mit dem richtigen Maß an Sinnlichkeit“. Er wünschte sich für das Haus eine kalifornische Aura, die Stephan mit einem Innenhof mit Holzdecke realisierte, der auch in Beverly Hills nicht deplatziert wirken würde. Darüber hinaus integrierte er eine gute Portion amerikanischen Designs. In der Küche platzierte der Innenarchitekt einen BDDW-Tisch mit Nussbaumholz-Platte, einen Kronleuchter von Lindsey Adelman und ein Set „Conoid“-Stühle von George Nakashima Studio.
Diese Stücke mögen zeitgenössisch sein, typisch für Stephans Arbeit ist jedoch seine Leidenschaft für Objekte, die nach dem Krieg in den Vereinigten Staaten geschaffen wurden – Designer wie Paul Frankl, Paul Laszlo und Paul Evans zählt er zu seinen Favoriten. Auch bleibt er in der Regel bei einer Palette gedeckter Braun- und Grautöne und möchte für seine Räume eine gewisse Zeitlosigkeit erreichen. „Für mich geht es nicht darum, etwas sehr trendig oder sehr auffällig zu gestalten“, erklärt er. Dennoch hat er nichts gegen Objekte von gefragten zeitgenössischen Designer*innen: Hier bevorzugt er handwerklich hochwertige Arbeiten in limitierter Auflage, von deren Beständigkeit er überzeugt ist. „Robert kann seine Kundschaft in Fragen der Sammlerqualität weiterbilden“, bemerkt Seandel. „Die Objekte, die er auswählt, steigen im Wert, und hinsichtlich der Qualität macht er keine Kompromisse.“
Zwei perfekte Beispiele finden sich in einem Penthouse in der Nähe des Münchner Gärtnerplatzes, das er einrichtete: ein Cocktailtisch von Vincenzo De Cotiis aus versilbertem Messing und Holz im Wohnzimmer und der Spiegel „Tumulte“ von Hervé Van der Straeten in der Küche. Eigentümer der Wohnung ist der Unternehmer Oliver Grünig, zu dessen geschäftlichen Aktivitäten sowohl ein Bauunternehmen als auch ein Modelabel gehört. Als Grünig das Penthouse kaufte, hatte er sich gerade von seiner Frau getrennt und stellte sich eine etwas klischeehafte Junggesellenwohnung vor – seine ästhetischen Ausgangspunkte waren James Bond-Filme und schummrige Nachtklubs. Robert Stephan löste die Aufgabe mit einem Konzept, das sicherlich maskulin und luxuriös ist – aber alles andere als Klischee. Er integrierte Designelemente der 70er-Jahre, wie zum Beispiel den „Stalagmiten“-Esstisch von Paul Stevens, und bekleidete die Wände mit Alcantara, einem Material das häufig in Luxusfahrzeugen eingesetzt wird. Darüber hinaus beschaffte er einige weitere ungewöhnliche Objekte, wie die beiden Sessel mit Edelstahlgestell im Wohnzimmer – ebenfalls aus den Siebzigern, entworfen vom französischen Designer François Monnet. „Robert ist völlig anders als andere deutsche Innenarchitekten“, erläutert Grünig. „Er zeigt einem ständig Dinge, die man vorher noch nie gesehen hat.“
Seine Leidenschaft für Design kann der 1971 in München geborene Robert Stephan bis in seine Teenagerjahre zurückverfolgen. Er erinnert sich an seine Fahrten zum Hauptbahnhof, wo er sich Ausgaben von Architectural Digest besorgte. Nach seinem Schulabschluss studierte er Wirtschaftswissenschaften – sowohl an der Hochschule München als auch am Greenwich Polytechnic in London, bevor er einen eher umständlichen Karriereweg einschlug. Unter anderem war er als Marketingberater für ein Tochterunternehmen der Deutschen Bank tätig, gründete einen Online-Shop, der nur ein einziges preisreduziertes Produkt pro Tag anbot, und betrieb ein Geschäft für erotische Bekleidung. Von 2000 bis 2003 führte er gemeinsam mit seiner Ex-Frau Carolin die Designgalerie Eileen (benannt nach Eileen Gray) in München, die sowohl Vintage-Objekte von Schöpfer*innen wie Jorge Zalszupin und Percival Lafer anbot, aber auch mit zeitgenössischen Arbeiten von Designer*innen wie Marc Newson handelte.
Von Robert und Carolin Stephans Geschmack beeindruckt, bat eine der Kundinnen der Galerie das Paar um Hilfe bei der Gestaltung ihres Hauses in der Nähe des Englischen Gartens. Durch Mundpropaganda ergaben sich neue Aufträge – für einen Friseursalon und ein Geschäft für Herrenbekleidung in Stuttgart und schließlich 2008 das erste umfangreiche Projekt für ein Wohngebäude, eine rund 860 m² große zeitgenössische Villa am Ammersee, westlich von München. Das von Architekt Stephan Fuchs entworfene Haus richteten sie zum Teil mit Vintage-Objekten von Sergio Rodrigues, Oscar Niemeyer, Ado Chale und de Sede ein.
2016 trennte sich das Paar sowohl beruflich als auch privat. Stephan leitet nun ein Drei-Personen-Team, das in einem atelierähnlichen Büro im Münchner Stadtteil Schwabing arbeitet. An der Wand gegenüber von seinem Schreibtisch findet sich ein Objekt besonderen Besitzerstolzes: die signierte Bleistiftzeichnung eines Sofas, die ihm Vladimir Kagan nach einer Begegnung auf der ICFF-Messe 2010 in New York geschenkt hatte. Zu Stephans aktuellen Projekten gehören eine Berghütte bei Kitzbühel, eine große Wohnung in der Nähe der Piazza del Popolo in Rom und ein von David Chipperfield entworfenes Einfamilienhaus in München.
Nach der Trennung von seiner Frau entschied er sich für ein eher unkonventionelles Wohnarrangement – gemeinsam mit einem langjährigen Freund bewohnt er eine Maisonette-Wohnung. „Dass heterosexuelle Männer über 40 zusammenleben, ist etwas ungewöhnlich“, gibt er zu, doch es scheint zu funktionieren. „Wir sind beide Workaholics“, fährt er fort. „Wenn ich nach Hause komme, schläft er oder ist bei seiner Freundin. Wir verbringen also nicht jeden Abend zusammen.“
Sein Schlafzimmer und die gemeinsamen Wohnbereiche hat Stephan mit zahlreichen Objekten aus seiner persönlichen Sammlung eingerichtet. Dazu gehört unter anderem ein seltener Barwagen von Aldo Tura aus Messing und Ziegenleder. „In jede Junggesellenwohnung gehört ein Barwagen“, scherzt er. „Das ist meine Philosophie.“ Darüber hinaus befinden sich in Robert Stephans Zuhause ein Sessel mit Polsterhocker von Oscar Niemeyer, eine Tischlampe von Angelo Brotto und ein Nachttisch des verstorbenen deutschen Künstlers Derick Pobell, der für seine kinetischen Mobiles bekannt war. „Dies ist einer der wenigen Tische, die er entworfen hat“, bemerkt Stephan. Der auffällige zeitgenössische Kronleuchter von Edizioni Design Lighting über dem Esszimmertisch erregt sehr viel Aufmerksamkeit – sehr zu Stephans Vergnügen. „Alle meine Freunde geben dazu eine Bemerkung ab“, sagt er. „Sie alle möchten auch einen haben. Und wissen Sie was? So ein Kronleuchter ist gar nicht mal so teuer.“